Das Gebot fairen Verhandelns ist eine vertragliche Nebenpflicht. Wird diese verletzt, weil etwa eine Vertragspartei eine psychische Drucksituation widerrechtlich schafft, die eine freie Entscheidung des anderen Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert, kann der Vertrag anfechtbar bzw. unwirksam sein. Mit seiner Entscheidung vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 hat das BAG die Reichweite des Gebots fairen Verhandelns nochmals konturiert. Darf der Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme des Angebots des Arbeitgebers abhängig gemacht werden? Das Gericht sagt: Ja, auch wenn das dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer einen von ihm erbetenen Rechtsrat einholen kann.
I. Worum ging es in dem Rechtsstreit?
Der (der Pressemitteilung entnommene) Sachverhalt ist schnell geschildert: „Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u.a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind streitig geblieben. Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29. November 2019 wegen widerrechtlicher Drohung an.“
II. Die Entscheidung des Gerichts
Das Gericht überprüfte den Sachverhalt im Wesentlichen mit Blick auf zwei Aspekte: Zum einen galt es zu erörtern, ob eine widerrechtliche Drohung darin liegt, dass der Arbeitgeber sowohl eine außerordentliche Kündigung als auch eine Strafanzeige in Betracht gezogen hat; und dies auch im Rahmen des Gesprächs zum Aufhebungsvertrag äußerte. Zum anderen war fraglich, ob die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin verletzt wird, wenn das Angebot zum Abschluss des Aufhebungsvertrags nur zur sofortigen Annahme unterbreitet wird.
1. Inaussichtstellen fristloser Kündigung und Strafanzeige nicht widerrechtlich
Der Sechste Senat verneinte im Ergebnis beides: Im vorliegenden Fall sei – der von der klagenden Arbeitnehmerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt – nicht von einer widerrechtlichen Drohung auszugehen. Ein verständiger Arbeitgeber dürfe nach Auffassung des BAG sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch das Stellen einer Strafanzeige in Betracht ziehen. Diesbezüglich sei die Arbeitnehmerin in Anbetracht des Sachverhalts und den damit einhergehenden Vorwürfen nicht unfair behandelt worden. Die Rechtsprechung ist an dieser Stelle eindeutig: Entscheidend ist der Sachverhalt, der der Verhandlung über den Abschluss des Aufhebungsvertrags zugrunde liegt. Bereits die Vorinstanz hat diesbezüglich festgestellt, dass das Inaussichtstellen einer fristlosen Kündigung nur dann eine rechtswidrige Drohung darstellt, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen muss, dass die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Hiervon war vorliegend nicht auszugehen, folglich lagen keine Anhaltspunkte für eine widerrechtliche Drohung vor.
2. Vertragsabschluss nur bei sofortiger Annahme: Keine Beanstandung des BAG
Ferner sei auch die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin nicht dadurch verletzt worden, dass der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag gem. § 147 Abs. 1 S. 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitete, mithin die Arbeitnehmerin sofort entscheiden musste und keinen Rechtsbeirat zuvor einholen konnte. Die Vorinstanz hatte in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass es – anders als bei einem Anhörungsgespräch zu einer Verdachtskündigung – im Rahmen von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag nicht zwingend geboten sei, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, einen Rechtsanwalt zur Beratung hinzuziehen. Das Gebot „formeller Waffengleichheit“ werde insofern nicht verletzt.